Macht Red Bull blind? – Kommentar zur Berichterstattung in der Boulevardpresse

Bad Honnef, 5.8.2015

Seit dem 3. August kursiert ein englischer Artikel in den Boulevardmedien. Neben dem Energy-Drink, auf den sich die Presse hier offenbar einschießen möchte, sind Lena – 26 – 165 kg – blind – Schlagworte, unter denen die Artikel im Internet aufzufinden sind. Und sie reduzieren die Geschichte auf einen für den Durchschnittsleser bekömmlichen Kern: Die Irin hat sich fett gesoffen und ist davon krank geworden – „selbst schuld“. So schätzen es auch etliche Kommentatoren ein. Das Allheilmittel verordnen sie gleich mit: Sie brauche bloß abzunehmen, dann sei sie wieder gesund.

Die über 600 Fälle mit idiopathischer intrakranieller Hypertension (Pseudotumor cerebri), die sich zu einer Betroffenengruppe online zusammengeschlossen haben, skizzieren jedoch ein differenzierteres Bild: Hier finden sich normalgewichtige Frauen, Männer und sogar Eltern betroffener und ebenfalls normalgewichtiger Kinder und Jugendlicher. Zwar führt in vielen Fällen eine Gewichtsabnahme zu einer Linderung der Beschwerden, jedoch bei weitem nicht in allen. Oftmals erhöht sich die Frustration der Patienten noch zusätzlich, wenn sich keine Besserung einstellt, obwohl eine sehr zehrende Diät eingeschlagen wurde.

Dauerkopf- und -nackenschmerzen, Sehstörungen, Schwindel und Übelkeit

Und drohen bereits neurologische Beeinträchtigungen oder der Verlust der Sehfähigkeit, wirkt eine Gewichtsreduktion ohnehin nicht mehr rechtzeitig. In nahezu allen Fällen helfen daher nur (regelmäßige) Lumbalpunktionen, die Dauermedikation und teilweise sogar neurochirurgische Eingriffe, um die Betroffenen von den Symptomen wie schwere Dauerkopf- und -nackenschmerzen, Sehstörungen, Schwindel und Übelkeit vorübergehend zu befreien. Eine Heilung gibt es für diese chronische Krankheit nicht, da Ursache und Entstehung noch ungeklärt sind.

Ein Zusammenhang zwischen dem genannten Energy-Drink und der Erkrankung ist mir nicht bekannt. Eine hohe Koffeinzufuhr oder eine rasche Gewichtszunahme (z.B. auch Schwangerschaft) können jedoch hirndrucksteigernd wirken und die Krankheit auslösen. Auch hormonelle (z.B. die Pille) und chemische Auslöser werden diskutiert. Häufig tritt die chronische Erkrankung beispielsweise nach einer Therapie mit dem Antibiotikum Tetracyclin auf. Das Übergewicht ist nicht alleiniger Risikofaktor.

Im günstigen Fall erkennt der Augenarzt eine Stauungspapille

Die Seltenheit der Erkrankung verschlimmert das Problem ferner dadurch, dass sie kaum rechtzeitig erkannt wird. Die Kopfschmerzen werden anfänglich einer Migräne zugeschrieben, gegen die Nackenschmerzen werden vom Hausarzt fälschlicherweise manuelle Therapien und Schmerzmittel verordnet. Im günstigen Fall erkennt der Augenarzt bei beginnenden Sehstörungen eine Stauungspapille und veranlasst die neurologische Abklärung. Erst die neurologischen Abteilungen größerer Krankenhäuser und Kliniken wissen in der Regel gut genug über die Erkrankung bescheid, um die erforderlichen Schritte einzuleiten. Bis dahin haben die Patienten oft eine jahrelange verunsichernde Odyssee hinter sich. Daher bei Kopfschmerzen mit Sehstörungen umgehend in einer neurologischen Ambulanz größerer Kliniken oder Krankenhäuser melden.

Wir wünschen der Betroffenen Lena, die zusätzlich zu der schweren Erkrankung, bedauerlicherweise noch in die Boulevardpresse gezerrt wird, gute Genesung.

-Andreas Linder

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Über die Deutsche Gesellschaft für intrakranielle Hypertension
An erhöhtem Schädeldruck unbekannter Ursache (idiopathische intrakranielle Hypertension – auch bekannt als Pseudotumor cerebri) erkranken in Deutschland jährlich ca. 800 Menschen; gefährdet sind besonders Frauen im Alter zwischen 20 und 45 Jahren. Vor allem Kopfschmerzen und Sehstörungen werden oft nicht rechtzeitig erkannt und zugeordnet. Unbehandelt kann die dauerhafte Schädigung des Sehnervs zur Erblindung führen. Die medizinische Behandlung und Betreuung dieser chronischen Krankheit sind noch uneinheitlich. Wenn auch durch Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie mittlerweile ein Behandlungsvorschlag vorliegt, sind doch Langzeitverlauf, Spätfolgen und damit verbundene Fragen bislang völlig ungeklärt. Die schmerzhaften Therapien – hierzu gehören auch neurochirurgische Eingriffe – bekämpfen nur die Symptome. Die Heilungsaussichten sind ungewiss. Der Krankheitsverlauf kann sich über Jahre erstrecken.

Die Deutsche Gesellschaft für intrakranielle Hypertension ist eine eingetragene, als gemeinnützig anerkannte Selbsthilfeorganisation auf Bundesebene. Als Bindeglied zwischen derzeit mehr als 600 Betroffenen sowie Medizin und Forschung versucht sie, die Behandlungssituation durch Wissenstransfer, Informations- und Erfahrungsaustausch nachhaltig zu verbessern. Der Austausch zwischen Betroffenen, sowohl in Internetforen als auch bei persönlichen Begegnungen, soll vor allem zur Selbsthilfe anleiten und Patientenkompetenz vermitteln. Langfristig soll der wissenschaftliche Austausch und die spezifische Ursachenforschung vorangetrieben werden.

Die DGIH ist die größte deutschsprachige Organisation, die sich ausschließlich mit dieser Thematik beschäftigt. Sie wird aus dem Selbsthilfeetat der gesetzlichen Krankenkassen sowie aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen finanziert. Im Juni 2014 hat die Bundeskanzlerin die DGIH als eine der 25 effizientesten sozialen Initiativen im Rahmen des Startsocial-Wettbewerbs ausgezeichnet.

 

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